Der erste Satz

Der erste Satz eines Buches ist unheimlich wichtig. Er muß gut sein. Ich reserviere mir hiermit folgenden Romanstart: „Dank jahrelangen Zeitunglesens auf Toilette, reichte allein das Aufblättern einer Zeitung um bei ihm heftigen Stuhldrang auszulösen.“

Hermann L. Gremliza – Ein Nachruf

Hermann L. Gremliza ist nicht mehr sterblich.
Der Herausgeber der konkret starb am 20.Dezember in Hamburg. Ich erfuhr davon am 24.12. durch die Zeitung. Völlig unerwartet ob solch einer Nachricht ist man erstmal kurz fassungs- und sprachlos.
Ich weiß nicht mehr wie und wann genau ich das Magazin konkret entdeckte. Ich glaube durch eine Anzeige, ich meine in der Titanic, und dieses Magazin hatte es mir angetan. So klug, dabei so radikal und gleichzeitig immer mit einem gewissen Witz. Ein intelligentes aber meistens lesbares und dabei auf Sprache Wert legendes Magazin.
Natürlich war konkret politisch. Aber das ist auch die FAZ, ist der Focus und ist auch jede regionale Tageszeitung. Aber wichtig war, gerade für eine linke Zeitschrift, die klare Solidarität mit Israel und der Kampf gegen jeden Antisemitismus. Ich wurde nie konkret-Abonnent und ich las auch nicht jede Ausgabe, da ich in der Regel Tageszeitungs-Leser bin (Und damit ist nicht DIE Tageszeitung gemeint, die Gremliza als runnig gag „Kinder-FAZ“ nannte.). Aber immer wenn ich an einem Sonntag am Bahnhof für die bevorstehende Zugfahrt Lektüre kaufte war es die aktuelle konkret. Und als Anhänger einer Fußballmannschaft fahr ich oft sonntags Zug. So las ich mindestens die Hälfte der jährlichen Ausgaben und meist war das provokante, satirische Cover schon Grund genug zur Freude. Die von mir für gut befundenen Leo Fischer, Wenzel Storch und Horst Tomayer schreiben und schrieben für konkret und in welcher Zeitschrift findet man sonst schonmal einen Leserbrief von Bela B.?
Natürlich stimmt es, was Wiglaf Droste schon zum vierzigjährigen Jubiläum der konkret, Ende der 90er schrieb: Dass Gremliza und einige konkret-Autoren oft lehrerhaft wirkten oder immer wieder wiederholten, dass sie es ja besser wüßten, klüger wären und der Rest der Menschheit leider so dumm. Aber sie setzen sich klar und kritisch mit diesem ganzen Deutschland und was es so an Übel und Unerträglichkeiten mitbringt auseinander und ordnen oft wirtschaftliche oder außenpolitische Zusammenhänge ein, und erklären diese, das Ganze in einem lesenswerten, humorvollen Stil, so dass die Lektüre der konkret so viele bereichern würde, vor allem all die konformen Schwätzern und Großmäuler würden in ihrem Denken mal ordentlich gestört. Und Gremlizas, das Heft eröffnender Text nahm oft so treffend und gut ein Thema auseinander, dabei den Argumenten und der Klugheit verpflichtet und in guter, treffender Sprache. Und was bräuchte man jetzt, wo die Entschleuniger und Achtsamen, die Transparenz und Nachhaltigkeit fordernden immer stärker werden mehr als jemand wie Gremliza, dem es um die „Wiedergewinnung des politischen Verstands, der Analyse statt des Feelings, der Erkenntnisse statt der Ängste, der Prioritäten statt der Liebhabereien“ ging?
Natürlich irrte Gremliza auch. Etwa wenn er die ›Welt im Spiegel‹ „Idiotenseiten“ nannte oder wenn er den Lesenden allzusehr mit gehobenem Zeigefinger belehrte.
Es bleibt nur schwer zu hoffen, dass Gremlizas Tod nicht zum Ende der konkret führt.
Das ein so kluger Mensch wie Gremliza 20 Jahre SPD-Mitglied bleiben konnte überrascht, aber umso konkreter, dass er 1989 austrat, weil die SPD-Fraktion im Bundestag geschloßen mit CDU/CSU und FDP das Deutschlandlied sang.
Es gibt so einige Menschen da will man immer wieder wissen wie sie Dinge einordnen und kommentieren, ihre Einschätzung ist wichtig und unverzichtbar und Gremliza war so jemand.

Furcht und Hass

Seit ich kein Radio mehr höre, weil mein sauteurer Tschibo-Radiofunkinternetbluetoothwecker keine Verbindung zum Internet mehr zustande bringt und in Küche und Bad nicht wie früher in WGs irgendwelche alten Radios herumstehen die bei Zähne putzen oder Abwasch eingeschaltet werden und ich auch kein Fernsehen mehr schaue, erreichen mich Nachrichten etwas verspätet über die gedruckte Zeitung. Diese kaufe ich meist am späten Nachmittag oder Abend. Dann zu lesen was am Vorabend bei Fertigstellung der Zeitung Aktuell war, reicht völlig aus. Was sich bis dahin als Nachricht, Neuigkeit oder gar News überholt hat, war es eh nicht wert. Es gilt sowieso zwischen den Zeilen zu lesen und oft kann man es mitsprechen. CDU: Aber auch an die Arbeitsplätze denken. FDP: Der Mittelstand gehört endlich entlastet und wir brauchen dieses Internet. SPD: Aber auch an die Friseurin denken oder die Altenpflegerin. Grüne: Auch an den Feldhamster denken und das Klima. AfD: Denkt hier irgendwer auch mal an die Deutschen? Linke: Also vielleicht wählen wir bald einen neuen Fraktionsvorsitz. Und dann vertragen wir uns endlich alle. Versprochen.
Die Nachricht über eine entsetzliche Tat am Hauptbahnhof meines Wohnortes erreichte mich, während ich einem Freund beim Umzug half, weil einer der Umzugshelfer nicht mehr per Zug heimfahren, sondern mit dem Auto gebracht werden mußte. Eine Mutter und ihr Kind sollten vor einen einfahrenden Zug geschubst worden sein und nicht nur der hessische Innenminister hätte sich zu Wort gemeldet sondern sogar der deutsche Horst Seehofer seinen Urlaub abgebrochen.
Am nächsten Morgen klickte ich auf einen der häufigsten verwendeten Hashtags bei Twitter um mich dann doch mal zu informieren was dort am Vortag genau geschehen war und nach dem Lesen der ersten drei Tweets mit der aktuell größten Reichweite wurde mir schlecht und ich klappte den Laptop zu. Die Polizei und die Medien hatten mittlerweile die Nationalität des mutmaßlichen Täters veröffentlicht und da diese nicht die deutsche war, fühlten sich nun unzählige Nazis berechtigt ihre Ideologie ins Netz zu blasen und einen direkten Zusammenhang zwischen dem Ort herzustellen an dem der wohl für die Tat verantwortliche zufällig aus seiner Mutter gekrabbelt war und der Motivation zwei unschuldige Menschen vor einen einfahrenden ICE zu stoßen. In ihrer Denkweise hatten sich damit alle mitschuldig an dem Tod eines achtjährigen Jungen gemacht, die in den letzten Jahren vor Krieg, Armut, Verfolgung oder aus was für Gründen auch immer ins wohlhabende Deutschland geflüchtet waren und gleichzeitig alle Menschen die dafür Verständnis aufbrachten.
Am Abend kaufte ich mir eine aktuelle Tageszeitung und erfuhr, dass diese an sich schon schwer nachzuvollziehende Gedankenkette durch die reinen Fakten noch widerlegt wurde. Der vermeintliche Täter wurde in Eritrea geboren und lebte bereits seit 13 Jahren in der Schweiz. Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD hatte nach der Tat trotzdem getwittert: „Schützt endlich die Bürger unseres Landes – statt der grenzenlosen Willkommenskultur!“ Wie sähe in Frau Weidels Augen dieser Schutz aus? Hätte sie es begrüßt, wenn der Eritreer einen Syrer vor den Zug gestoßen hätte? Wünscht sie sich eine begrenzte Willkommenskultur? Oder eine grenzenlose Verabschiedungskultur? Oder gleich eine Verabschiebungskultur? Und an wen richtet sich ihre ins Netz gerufene Forderung? Die lange für die CDU im Bundestag gesessene Erika Steinalt warf dann auch noch einen leeren Gedanken hinterher und stellte einen direkten Zusammenhang der Politik Angela Merkels und dieser Tötung her.
Es ist zu durchschaubar wie diese Personen die niedersten Instinkte des Menschen ansprechen: Wut und Angst. Das braucht man gar nicht mehr zu erklären, so offensichtlich ist es.
Die Spirale ist nun in Gang gesetzt. Mehr Polizei, mehr Kameras, Bahnsteige betreten nur noch mit Ariernachweis, in den Medien bitte immer die Nationalität von Tatverdächtigen mitnennen, damit man weiß ob man sich vor dem bösen Ausländer respektive Flüchtling gruseln und das jeweilige Opfer betrauern kann oder ob es halt eine ganz normale Tat eines Einzeltäter-Deutschen war, der im Idealfall einen Flüchtling um die Ecke gebracht hat.
Fast niedlich in all dem Geschrei um mehr dies und mehr das die Forderung des Landesvorsitzenden von Pro Bahn Hessen in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau nach mehr Aufmerksamkeit von Passagieren: „Aber was zugenommen hat, ist die Gleichgültigkeit. Auch was Vandalismus betrifft, oder wenn jemand im Nichtraucherbereich raucht. Da fühlt sich keiner verantwortlich und spricht ihn an.“ Das es vielleicht einfach niemanden stört, wenn jemand nicht im kleinen gelben, auf den Boden gemalten Rechteck raucht, kommt ihm gar nicht in den Sinn, dem Blockwart von Pro Bahn.